(M)Ein Fels in der Brandung

Ein Fels in der Brandung - wer hätte ihn nicht gerne - jenen Menschen, der unerschütterlich und beständig zur Seite steht? Jemanden, der uns auf unbeirrte Art und Weise begleitet. Den wir zu Rate ziehen können, wenn uns die Orientierung fehlt. Der das rechte Wort zur rechten Zeit für uns bereithält und der geduldig jeglichen Weg mit uns mitgeht. 

Heute zeige ich Ihnen ein Werk, das sich in einem langen Prozess entwickelt hat. Die vielen Schichten von Farben füllen die Leinwand aus. Jede Lage benötigte dabei ihre ganz eigene Dauer des Trocknens. Viel Zeit für mich, das Prozedere mit aller Aufmerksamkeit zu beobachten und meine Gedanken kommen und ziehen zu lassen.  

Wir sehnen uns danach, mit unserem Tun und unseren Bedürfnissen wahrgenommen, gesehen und gehört zu werden. Denn es ist der ureigentliche Wunsch unserer Seele, in Form und Gestalt, sichtbar zu werden. Die Besucherin meiner Ausstellung kam auf mich zu mit den Worten: "Wenn ich das hier so sehe, dann glaube ich, hier könnte ich verstanden werden." Die Frau war frisch verwitwet. Wir verabredeten uns  

und die gemeinsame Zeit in meinem Atelier nutzte sie für sich, ihrem Inneren Ausdruck zu verleihen. Mit Farbe und Pinsel baute sie eine Beziehung zu sich selbst auf. In das Gespräch mit sich selbst fand sie, indem sie nach innen lauschte. Welche Stimmen wurden hörbar? Welchen Klang hatten sie? Wo wurden Unstimmigkeiten wahrnehmbar? Welche Möglichkeiten boten sich, aufgetragene Farben und Flächen so zu verändern, dass sie sich einig und stimmig zeigten? Können Ungleichgewichte ausgeglichen werden? Mit solch einer Vorgehensweise können wir Beziehung herstellen. Die Beziehung mit uns selbst!

Versuchen zu verstehen können wir nur, wenn wir mit dem anderen in Beziehung treten. Durch den bildhaften Prozess, auf den sie sich eingelassen hat, entstand für sie eine Möglichkeit, eine neue Verbundenheit für sich zu finden. Der Fels in der Brandung war in ihr!

Dunkle Beize floß über den Sumpfkalk und legte sich in den Vertiefungen nieder. Feine Marmorierungen waren die Folge. Alle Erhebungen haben mit der türkisblauen Tinte Ausgleich erhalten. Das Sandelholz in seinen braunroten Variationen, legte sich wie eine tragende Fläche, in den unteren Bildabschnitt. Kombiniert mit unterschiedlichen Weißschattierungen füllte es die obere Bildfläche aus. Akzente mit weißem Sand und Linienführungen mit schwarzer Kohle, machten das Bild komplett. Nach diesem mächtigen Materialauftrag wurde mir mein Bild mit einem Mal ganz schwer. Einseitigkeit habe ich empfunden, welche im rechten, mittleren Bildbereich angesiedelt war. Es war für mich eine Last zu spüren.

Und, diese drückte mich nach unten! Solche Momente benötigen Sorgfalt und Ausdauer, bis ich wirklich weiß, wie es für mich weitergehen könnte. Manchmal stelle ich solch eine Arbeit dann erstmal in eine Ecke und lasse sie ruhen. Ich gehe dann an andere Werke bis der Augenblick da ist, mich diesem Bild und meinen Unstimmigkeiten noch einmal zuzuwenden. Dranbleiben ist die Botschaft und das, mit ganzer Zärtlichkeit. Mein Bild ruhte also, nötige Distanz wurde möglich.

Wenn etwas zu schwer ist hilft es, Lastendes abzulegen. Nach vielen Überlegungen und reiflichem Abwägen habe ich mich bei diesem Bild dafür entschieden, mich von dem schweren Bildbereich zu verabschieden. Mit Wasser und entsprechenden Werkzeugen habe ich behutsam und sorg- 

fältig einzelne Schichten wieder abgetragen. Das war langwierig - Lösen und Loslassen ist ein Prozess! Und überdies war es für mich im Voraus nicht absehbar, ob es tatsächlich den erlösenden Effekt erbringen würde. Da hieß es, mutig weitergehen und Vertrauen bewahren. Nach reichlich abgetragener Farbschicht wurde das Ergebnis sichtbar. Es war sehr berührend für mich. Denn plötzlich kam eine darunterliegende Stelle wieder zum Vorschein, die sich mir in voller Schönheit zeigte. Ich hatte sie ursprünglich gar nicht so wahrgenommen. Das war ein wertvoller Moment für mich. Ich verweilte in dem Anblick und kostete ihn für mich aus. Unglaublich viele Emotionen wurden in mir wachgerufen.

Danach wanderte mein Blick über die restlichen Bildflächen. Mit dem Blick zurück in die linke Bildhälfte, zeigte sich eine Schneise. Die war mir vorher noch gar nicht aufgefallen. Kann es sein, dass ich dieses Detail erst jetzt wahrnehmen konnte, nachdem die Schwere von mir gewichen war? Ein hell ausgeleuchteter Durchlass, als ob ein Weg aufgezeigt wäre!

Manchmal sehen wir unseren Weg nicht. Auf der Leinwand gibt es vielfältige Möglichkeiten, unseren Grenzen zu begegnen. Der Mensch an meiner Seite kann nicht wirklich wissen, welcher Schritt nun für mich dran ist. Jedoch kann er ein Stück des Weges mitgehen und dabeibleiben.

Sie stand vor ihrer Leinwand und wusste nicht weiter. So viele Stellen, die noch nicht passten aber auch Bereiche, welche gar nicht so schlecht für sie waren. "Mögen Sie sich den für Sie unstimmigen Stellen annehmen oder die schon guten Bildbereiche kräftigen?" Ihre Augen leuchteten auf: "Das Gute kräftigen!" antwortete sie eindeutig. Es ist für uns Menschen immer wieder verwunderlich an das "Heile" in uns zu glauben, wenn sich das Drumherum gerade düster zeigt. Es gibt das Unzerstörbare in uns, das allem standhält. Die Erinnerung daran, dass wir dieses jederzeit anregen und kräftigen können, macht Mut und schenkt Vertrauen. Der Fels in der Brandung liegt im Innen!

Ich wünsche Ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit, 

den Felsen in Ihnen,

der Ihnen Sicherheit schenkt.

Herzliche Grüße

aus meinem Atelier.